Altamerika: Lebens- und Kulturräume

Altamerika: Lebens- und Kulturräume
Altamerika: Lebens- und Kulturräume
 
Auf dem Kontinent, der sich zwischen Atlantik und Pazifik vom nördlichen Eismeer quer über alle Klimazonen bis zum Feuerlandarchipel erstreckt, lebten vor der Ankunft der Weißen tausende verschiedene Völker, die hunderte, vielfach miteinander gar nicht verwandte Sprachen benutzten. Seit Kolumbus im Glauben, Indien erreicht zu haben, in Amerika ankam, hält sich die irreführende Sammelbezeichnung »Indianer«. Diese wird der Vielfalt der Völker und Kulturen jedoch in keiner Weise gerecht.
 
Die spezifischen Formen der Lebensgestaltung und die große Bandbreite der kulturellen Entwicklung wurden auch durch die unterschiedlichen äußeren Lebensbedingungen geprägt. Lange bevorzugte die Bevölkerung die engen, aber vielgestaltigen Zentralräume Mittelamerikas und der Anden mit ihrem tropischen Grundcharakter. Durch die vertikale Klimaschichtung der entlang des Westrands der Neuen Welt verlaufenden Kordillierenketten wurden diese Gebiete in eine Fülle kleinräumiger Lebensräume verwandelt, deren Bewohner einander wirtschaftlich und in ihrer kulturellen Entfaltung wechselseitig beeinflussten. Mesoamerika, das mittelamerikanische Hochkulturgebiet zwischen Zentralmexiko und dem westlichen El Salvador und Honduras, und die Zentralanden (samt der ihnen vorgelagerten Pazifikküste) haben einander zwar in ihrer alten Geschichte ebenfalls gegenseitig befruchtet, waren aber weitgehend von Angehörigen nicht verwandter Sprachfamilien bewohnt. Zwischen diesen beiden wichtigen Regionen liegt das »Zwischengebiet«, das neben den Nordanden und dem östlichen Zentralamerika auch die Inselketten der Karibik umfasst, sprachlich aber fast zur Gänze zu Südamerika zu rechnen ist. Vielleicht war es das relativ problemlose Überleben, das dazu geführt hat, dass die örtlichen Kulturen nur bis an die Schwelle zur Entfaltung einer Hochkultur getreten sind und anstelle von Stadtstaaten nur lokale Häuptlingstümer hervorgebracht haben. Schwellenkulturen fanden sich auch in Nordamerika, wo der trockene Südwesten und das Waldland östlich des Mississippi auf unterschiedliche Weise Einflüsse aus Mesoamerika mit einer eigenständigen Kulturentwicklung verbanden.
 
Das an den Ostabhang der Anden grenzende tropische Tiefland mit seinen Urwäldern erwies sich gegenüber den Einflüssen der benachbarten Hochkulturen als weniger offen. Noch geringer war die gegenseitige Durchdringung in den Randzonen Amerikas. Diese waren meist von Bevölkerungen bewohnt, deren Lebensweise auf einer rein aneignenden Wirtschaftsform (der Jagd, der Sammelwirtschaft und dem Fischfang) beruhte und für die Verfeinerungen städtischer Kulturen wenig Gebrauch hatte. Untereinander unterschieden sich diese Kulturen freilich noch einmal so sehr wie gegenüber den Hochkulturen. Dabei waren die nomadisierenden Jägervölker der kanadischen Subarktis, der Graslandschaften des zentralen Nordamerika und der argentinischen Pampa deutlich »ärmer« als etwa die Eskimo, die Bewohner der pazifischen Nordwestküste oder die alten Kalifornier, bei denen die Seesäugerjagd, der Lachsfang beziehungsweise das Sammeln von Eicheln die Grundlagen für ein wenigstens zum Teil sesshaftes Leben boten.
 
Prof. Dr. Christian F. Feest
 
 
Das Altertum der neuen Welt. Voreuropäische Kulturen Amerikas, herausgegeben von Christian F. Feest. Ausstellungskatalog Museum für Völkerkunde, Wien. Berlin 1992.
 
Amerika vor Kolumbus, herausgegeben von Michael D. Coe u. a. Aus dem Englischen. München 61993.

Universal-Lexikon. 2012.

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